Sehr geehrte Anwesende, liebe Familie,
von der hier heute anwesend sind mein Cousin Andreas Mirbach, geb. Guttstadt, mit Familie, seine Schwester Stefani Guttstadt, meine Schwester Renate Boltjes, geb. Guttstadt, mit Mann und ich, Gabriele Guttstadt, mit meinem Mann Rolf Mulczinski.

Hier auf diesen Steinen vor dem Haus, welches bis 1989 hier stand, habe ich laufen gelernt. In den Jahren von 1959 – 1963 habe ich hier zusammen mit meinen Eltern, meiner Schwester und meiner Großmutter Margarethe Guttstadt, der Frau von Friedrich Guttstadt, gelebt.

Jahre – fast Jahrzehnte hat es gedauert, bis mir klar wurde, wie ungeheuerlich es ist, das mein Großvater Friedrich Guttstadt bereits 1939 mit knapp 58 Jahren gestorben ist. Das Mosaik an Informationen aus meiner Familie fügte sich erst langsam mit den Informationen aus dem Geschichtsunterricht zusammen.

Hier im Haus Reifträgerweg 19 habe ich keine Anzeichen jüdischen Lebens gefunden. Mein Vater berichtete mir immer, das er Viertel-Jude ist und somit als Halbjude angesehen wurde und sein Vater Halbjude war, der von den Nazis als Jude bezeichnet wurde, so wie es auf dem Entlassungsschein aus dem KZ Sachsenhausen steht. In den uns bekannten Aufarbeitungen werden Friedrich und Richard als Juden bezeichnet, damit wird die Rassenlehre fortgeführt.


Nun zur Lebensgeschichte meines Großvaters.

Meine Großvater Friedrich Guttstadt wurde am 14.2.1881 in Berlin als Sohn des Geheimen Medizinalrates Prof. Dr. Albert Guttstadt und seiner Frau Clara Guhrauer geboren. Er hatte einen älteren Bruder, Richard Guttstadt, Architekt, der den Bau des Anhalter Bahnhofs mitgestaltet hat.

Friedrich wuchs in der anregenden Umgebung einer bürgerlichen Familie in der Luisenstadt (zwischen Mitte und Kreuzberg) auf. Das Jurastudium begann er in Straßburg, war danach Rechtsgehilfe in Oranienburg und – wurde dann in den Krieg geschickt. Unversehrt und mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse heim, heiratete er 1919 die studierte Philologin Margarethe Lipinski. Die Familie mit 2 Söhnen, der jüngere war mein Vater, wohnte bis 1932 in der Wilmersdorfer Landhausstraße. Danach zog die Familie in die Dallwitzstr. 57, um von dort aus das Haus im Reifträgerweg 19 bauen zu können, der Einzug war im Frühjahr 1935.

Wann Friedrich Guttstadt, der als Gerichtsrat am Reichswirtschaftsgericht tätig war, entlassen wurde, konnten wir nicht genau ermitteln, vermutlich musste er bereits 1933 den sogenannten „Ariernachweis“ erbringen, was ihm nicht möglich war, so dass er entlassen wurde.

(Zusatzinformation: Seit 2017 wissen wir, dass er vom 27.9.35 ab zwangsweise beurlaubt und ab 1.1.36 zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde. Einige Tage vor seinem Tod erreichte ihn "mit Empfangsbestätigung" die Nachricht von der Kürzung seiner Pension.)

Nach dem Progrom am 09.11.1938 wurde er am 11.11.1938 ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. Wie meine Großmutter Margarethe Guttstadt es schaffte, ihren Mann durch Bestechung wieder aus dem KZ herauszugekommen, konnten wir durch einen Brief erfahren, den sie 1947 in die USA geschrieben hatte. Diesen Brief schickte mir im Jahre 2011 ein amerikanischer Soldat – Herr David Stapp, der entfernt mit der Familie Guttstadt verwandt ist.

Dass mein Großvater nichts über seine Zeit im KZ berichten durfte, war mir bekannt, nach drei Wochen im KZ hat er zu Hause nur sechs Wochen überlebt.


Auch die Tatsache, dass sowohl mein Onkel Albert Guttstadt als auch mein Vater Gerhard Guttstadt, beide viel zu früh an Herzversagen gestorben sind, muss vor allem auf ihre Behandlung in der NAZI-Zeit und die Erlebnisse in ihrer Familie zurückgeführt werden.

Zweimal habe ich mit meinen Klassen das KZ Sachsenhausen besucht. Beim zweiten Mal sollten die Schüler sehr intensiv an ausgewählten Fallbeispielen das Leben einige Menschen, die im KZ umgekommen waren, bearbeiten, um zu versuchen zu begreifen, was damals geschehen ist. Ich berichtete unserer Museumslehrerin vom Schicksal meines Großvaters. Sie meinte, da er entlassen worden sei, hätte das KZ keine Unterlagen über ihn. Ich nahm mir vor, mich darum zu kümmern. Inzwischen ist Friedrich Guttstadt in der Gedenkstätte Sachsenhausen bekannt.

Seit Beginn der Stolperstein-Initiative habe ich diese verfolgt, wäre ich aber nicht auf die Idee gekommen, mich um einen Stolpersteine für meinen Großvater zu kümmern. Erst im Sommer 2010 entdeckte ich zufällig im Internet, dass für seinen Bruder Richard Guttstadt in Frankfurt/ Oder ein Stolperstein verlegt worden war. Sofort nahmen wir Kontakt auf und besuchten im Frühjahr 2011 den Stolperstein. Die Initiative hatte Probleme gehabt, einen Sponsor für den Stein zu finden, sie hat zu unserer Verwunderung nicht nach der Familie Guttstadt gesucht.

Im Herbst des gleichen Jahres kontaktierte uns Herr Schoenfeld, ein Gymnasiallehrer aus Freiburg, der mich im Internet gefunden hat. Er recherchierte die Geschichte des ATV (Akademischen Turnverbindung) Cheruscia-Burgund und war so auf Friedrich Guttstadt gestoßen, der dort Mitglied war. Er stellte uns weiteres Material zu Verfügung. Inzwischen hat auch die Berliner Sektion mit Recherchen begonnen und ist heute anwesend. Beide Brüder Richard und Friedrich waren als Altherren dort aktiv.

Die akribische Zusammenstellung der uns bekannten Fakten verdanke ich vor allem meinem Mann Herrn Dr. Rolf Mulczinski. Er hat die Informationen geordnet und durch einige Rechercheergebnisse ergänzt.

Die Realisierung der heutigen Stolpersteinverlegung wurde durch die Arbeit der Stolpersteininitiative des Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf unter der Projektleitung von Herrn Michael Rohrmann möglich, bei dem ich mich hier bedanken möchte.

Inzwischen gibt es hier die AG Spurensuche, die weiter an diesem Thema arbeitet.

Mein Mann und ich ziehen für uns an dieser Stelle einen Schlussstrich nach fast 3 Jahren Arbeit an der Aufarbeitung der Geschichte um die Familie Guttstadt. Gerne informieren wir jedoch über die immer noch offenen Fragen und bedanken uns schon jetzt für Ergänzungen und neue Ergebnisse.


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