Friedrich 1915

Friedrich Guttstadt

(Zeit vom Weltkrieg bis zum Pogrom)



1919 heirateten Friedrich Guttstadt und Margarete Lipinski, meine Großmutter, Tochter eines Brauereidirektors in Bochum, die zum Wintersemester 17/18 die Universität Halle verlassen und im September 1918 ihr Examen in "neuer Philologie" und im Januar 19 ihr Staatsexamen für "das Lehramt an höheren Schulen" an der Universität Breslau abgelegt hatte. Aus den Recherchen in Mitteilungen seiner Akademischen Turnverbindung (ATV) geht hervor, dass Friedrich 1916 Amtsrichter in Bochum war, sich 1919 mit Margarete verlobte und noch 1920 in Bochum, Kanalstr. 18a, wohnte. Friedrich-1919 Im September 1920 wird Albert, mein Onkel, und genau an meinem Geburtstag im August 1922 wird Gerhard, mein Vater, geboren. Friedrichs Mutter stirbt 3 Monate vorher.
Erst dann nennt das Berliner Adressbuch die Landhausstraße in Wilmersdorf als Wohnsitz der Familie. Die betreffenden Gebäude sind zerstört und durch Neubauten der 60-er Jahre ersetzt Die Hausnummer für Clara Guttstadt wurde bis 1922 mit 52 angegeben, die von Friedrich Guttstadt 1923 bis 1932 mit Landhausstr. 42, was mit den Einträgen der Altherrenzeitung seiner ATV übereinstimmt. Im Adressbuch ist aber sein Vorname falsch geschrieben. Das Adressbuch nennt anfangs die Berufsbezeichnung Landgerichtsrat, ab 1925 Reichswirtschaftsgerichtsrat. Anfragen an das Bundesarchiv über Friedrich Guttstadt waren erst Ende 2017 erfolgreich. Aus seinen Personalakten geht hervor, dass er am 1.6.1921 zum Landgerichtsrat und vom 1.1.1923 nach einer halbjährigen Probezeit zum Reichswirtschaftsgerichtsrat ernannt wurde. Familie ca1924

In der schon genannten Gedenkschrift des ATBs (Akademischen Turnbunds) heißt es weiter:
"G u t t s t a d t, Friedrich (Tuan),..., ein sehr geschätzter und verdienstvoller Burgunde, als Offizier im 1. Weltkrieg mit dem EK 1 ausgezeichnet. Er wurde Reichsgerichtsrat in Berlin. Er hat auch nach dem Zusammenschluß der Straßburger und Freiburger treu zur Verbindung und zum ATB gestanden, leitete 1929 bis 33 den AHV und war sehr um den Erwerb des Rheinischen Hofs am Münsterplatz bemüht. Sein gastfreies Berliner Haus war lange Zeit Mittelpunkt des geselligen Lebens der Berliner Cheruscia-Burgunden"
Den Nachrichtenblättern der 1930er Jahre ist weiter zu entnehmen, dass Tuan von 1933 bis 34 Vorsitzender des Hüttenvereins war.
Der immer nachdrücklicheren Forderung der NSDAP, dass alle Juden und Freimaurer die AHschaft verlassen sollten, kam die Verbindung 1935 nach, bot ihnen aber die Mitgliedschaft im Hüttenverein an. Über die Gründe des Ausscheiden Tuans aus dem Amt Ende 1934 und sein weiteres Schicksal wird nicht berichtet. Nach dem internen Streit über die Frage, ob alte und verdiente Mitglieder bleiben sollten, kam es zu einigen Protestaustritten, wohl auch von Tuan.

(Die mit der ATV Cheruscia-Burgund zusammenhängenden Informationen haben wir von Herrn Rainer Schoenfeld, Mitglied des ATV, aus Freiburg.
Herr Helmut A. Schaeffer-Spring, Mitglied in der Berliner ATV, hat die Altherrenzeitungen von ihrer Gründung 1910 bis zur Zwangsauflösung 1935 nach Friedrich und Richard Guttstadt als Mitglieder der ATV der "Märker" durchsucht. Die präzise Durchsicht bietet trotz ihrer Kürze ein lebendiges Bild der beiden Brüder unter diesem Aspekt.)
Altherrentag
Altherrentag Ein Gerichtsrat würde wohl ein unterstützendes Indiz für die These des Protestaustrittes in einer anderen Handlung Friedrichs sehen, als er wiederum in existenzielle Enge getrieben wurde: die Zerstörung seines Offiziersdegens.

In 2017 bekam ich einen Hinweis auf noch existierende Personalakten in Bundesarchiv Berlin.
Friedrich ist trotz des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vermutlich wegen des Frontkämpferprivilegs nicht schon 1933 in den Ruhestand versetzt worden. Er war weiterhin Gutachter in Entschädigungsangelegenheiten die an Polen abgetretenen Gebiete betreffend. Als Gerichtsrat musste Friedrich jedoch klar gewesen sein, dass seine und die Rechte all derer, die einen (bez. der Religion) jüdischen Eltern- oder Großelternteil hatten, höchst bedroht waren. Ich weiß aus Erzählungen, dass immer wieder Auswanderung geplant war, die aber immer wieder verworfen wurde.
Denn wer konnte sich trotz aller Bösartigkeiten vorstellen, dass "Juden" nicht nur drangsaliert sondern auch ermordet werden würden.



Das Berliner Adressbuch 1933 nennt nach der Landhausstr. in Wilmersdorf erstmalig die Dallwitzstr. in Zehlendorf als neuen Wohnort.

Um die Ecke in der Radtkestr 2 wohnte meine Mutter Elisabeth Greuel, verh. Guttstadt, mit Ihrer Familie (Oscar Greuel, Johanna Greuel, geb. Wittich, Schwestern Anneliese, verh. Lucke, Margret, verh. Klapproth/Martens, Edith, verh. Herbst). Friedrich stattete Ihrem Vater Oscar Greuel seinen "Antrittsbesuch" ab. Als er ihn sah, war er überrascht, wie bekannt er ihm erschien, und beide erinnerten sich, dass sie sich im Krieg 1914-1918 gegenseitig als Ortskommandanten in Ostpreußen abgelöst hatten. So haben meine Eltern als Kinder miteinander gespielt und meine Mutter hatte die Gelegenheit, ihren späteren Schwiegervater kennenzulernen.

Von dort aus planen die Guttstadts den Bau eines Eigenheims. Im Mai 1934 wird das Grundstück erworben und im Juli der Architekt beauftragt, der in an Margarethe gerichteten Briefen im Nov. 33 und Jan. 34 erste Überlegungen niederschreibt. Meine Großmutter ist Alleineigentümerin des Grundstücks und später des darauf erbauten Hauses im Gegensatz zum damals Üblichen. Mein Großonkel Richard war Alleineigentümer seines Hauses in Frankfurt/Oder, und daher ist es enteignet worden, noch bevor er ermordet wurde.
Da im Sommer mit dem Bau begonnen wird, alle Kommunikation läuft wieder über Friedrich, kann schon genau zu Herbstanfang das Richtfest gefeiert werden. Die darauf gehaltene Rede, vermutlich von einigen Alten Herren der ATV-Cheruscia-Burgund entworfen (s. Zueignung auf S.1), ist mir im Original mit Durchschrift erhalten. Es ist ein erschreckendes Dokument der Unterwerfung, eine direkte Verhöhnung des in den ersten Zeilen der Rede angesprochenen Wahlspruches "Freiheit, Ehre, Vaterland". Gleich in der ersten Zeile wurden die ab 1819 aus den Karlsbader Beschlüssen resultierenden staatlichen Verbote beklagt, die die damals Liberalen als Volksverhetzer begriffen und ihre Verfolgung begründeten. Und hier standen sie, die AHAH (Plural v. AH), im Angesicht eines staatlich Verfolgten und, ohne es zu merken, lobpriesen seinen Verfolger und verhöhnten Gott, der, wenn es ihn denn gibt, unbewegt den Grausamkeiten seiner Geschöpfe zuschaute und zuschaut.
Kurz danach Ende 1934 verlässt Friedrich seinen so hochgeschätzten ATV-Cheruscia-Burgund. Ob aus eigenem Antrieb oder durch konkrete Aufforderungen, wissen wir nicht.

Die letzen Malerarbeiten wurden im März 35 ausgeführt, und vermutlich kurz danach zog die Familie in ihr neues Haus in der Augustastr. 19, dem heutigen Reifträgerweg. Augustastr.19 Wie viele Deutsche mag Friedrich gehofft haben, sich in sein Haus zurückziehen und ohne seine alten Freunde im Kreise der Familie in relativer Ruhe und als Beamter in relativer Sicherheit die Geschehnisse von abseits betrachten zu können. Zunächst schien es so ...

Familie F.Guttstadt (vor der Tür stehend rechts mein Großvater Friedrich Guttstadt, links daneben mein Onkel Albert im Alter von ca. 16, neben ihm mein Vater Gerhard mit ca. 14 und sitzend meine Großmutter Margarethe neben meiner Großtante Anna Friedberg. Die Familie mit dem Mädchen ist mir nicht bekannt.)






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